Unser Thema:

Leiharbeit

"Übernahme? Fehlanzeige"

Sie übernehmen die gleichen Aufgaben wie Beschäftigte in Stammbelegschaften. Doch am Ende des Monats haben Leiharbeiter deutlich weniger Geld auf dem Gehaltszettel. Die Branchenzuschläge haben die Situation vieler verbessert. Doch Unsicherheit und enttäuschte Hoffnung auf Übernahme nagen nach wie vor an zahlreichen Leiharbeitern. Zwei Betroffene berichten.

Sascha M. ist Leiharbeiter beim Reifenhersteller Michelin in Bad Kreuznach. Er übernimmt die gleichen Aufgaben wie Kollegen der Stammbelegschaft, leistet das gleiche, erfüllt die selben Anforderungen. Doch am Ende des Monats stehen 500 Euro weniger auf seiner Gehaltsabrechnung. Für den 28-Jährigen ist das frustrierend - und bringt in immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten.
 

"Ich bin Gas- und Wasserinstallateur und habe zuerst in einem Drei-Mann-Betrieb gearbeitet, später dreieinhalb Jahre als Lagerarbeiter in Frankfurt. Jetzt bin ich bei Michelin in Bad Kreuznach, ausgeliehen von der Zeitarbeitsfirma ProServ.  Die hat eine Niederlassung direkt auf dem Gelände des Reifenherstellers. Ich bin schon fünf Jahre dabei, zuerst als Maschinenfahrer und jetzt als Staplerfahrer.  

Etwa 160 von insgesamt 1500 Beschäftigten sind hier Leiharbeiter. Es gibt Kollegen, die seit zehn Jahren von ProServ an Michelin verliehen sind. Übernommen worden ist in unserer Abteilung seit Jahren kaum noch jemand.  Man kann leisten, was man will, es wird nicht gesehen. Wenn einer jahrelang alles für die Firma gibt und sogar noch zur Arbeit geht, wenn er krank ist, und es kommt überhaupt nichts zurück, dann ist er enttäuscht. Ich bin selbst in fünf Jahren nur 18 Tage krank gewesen. Manchmal habe ich keine Lust mehr, aber dann rappel ich mich wieder auf.

Seit drei Jahren mache ich dieselbe Arbeit in derselben Abteilung. Ich kann das gleiche, leiste das gleiche, erfülle dieselben Sicherheitsbestimmungen und habe dieselben Aufgaben und Pflichten wie meine Kollegen. Aber ich bekomme  dafür 1200 bis 1300 Euro netto und sie mindestens 1800 Euro. Das wissen auch alle. Das greift einen an. Man sieht es an den Gesichtern. Die Arbeit machen wir gern, aber Leiharbeiter sind wir nicht gern. Wir möchten fair behandelt werden. Dabei ist das Verhältnis zu den Kollegen aus der Stammbelegschaft gut, wir werden akzeptiert. Nur wenige glauben, sie könnten uns Leiharbeiter überall herumschicken, die meisten behandeln uns korrekt. Über unsere Bezahlung sind auch die Kollegen aus der Stammbelegschaft empört. Sie verstehen, wenn wir frustriert sind.

Bei den Branchenzuschlägen, die seit dem 1. November gezahlt werden müssen, gab es hier am Anfang Unstimmigkeiten über den richtigen Tarif. Unser Arbeitgeber meinte, er könne sich an den Tarif der Kautschukindustrie halten. Danach werden nach neun Monaten nicht 50 Prozent Zuschlag bezahlt, sondern nur 16 Prozent. Das bedeutet pro Stunde nur 1,40 Euro mehr und nicht 4,20 Euro. Die Bezahlung der Stammbelegschaft orientiert sich aber am Chemie-Tarifvertrag, das ist für uns der Maßstab. 120 Kollegen haben sich an einer Unterschriftenaktion beteiligt, dass der Branchenzuschlag Chemie an uns bezahlt werden soll.  Wir haben auch mit dem Betriebsrat bei Michelin darüber gesprochen. Er hat geholfen, dass die Zeitarbeitsfirma das jetzt akzeptiert. Aktuell wird über die  Umsetzung verhandelt.

Zum Betriebsrat können wir mit allen Problemen kommen, sie helfen uns, behandeln uns wie Micheliner. Bei der Verleihfirma gibt es keinen Betriebsrat.  In meiner Abteilung sind auch viele von uns nicht in der Gewerkschaft. Manche können sich den Beitrag nicht leisten, andere fühlen sich nicht richtig verstanden.

Freizeitgestaltung gibt es bei mir eigentlich nicht, dazu bleibt keine Zeit. Bei Michelin arbeite ich in drei Schichten im Vierschichtsystem. Weil das Geld so knapp ist, habe ich noch einen Zweitjob als Möbelschlepper bei einer Umzugsfirma. Es gibt Tage, da finde ich es zu hart. Aber ich muss ja meine Miete bezahlen, meine Rechnungen, auch Benzin, denn wegen der Schichten brauche ich ein Auto. Bis vor kurzem hat auch meine Freundin mit davon gelebt, aber jetzt ist sie mit der Ausbildung fertig. Nun ist die Lage entspannter. Mehr als zwei, drei Tage Kurzurlaub sind trotzdem nicht drin." 

 

Missbrauch von Werkverträgen

"Wir fühlen uns machtlos"

Mehr als hundert Menschen aus Bulgarien machen bei der Firma Mega im niedersächsischen Nienburg Autoteile sauber. Für einen Hungerlohn. Die Betriebsräte können das nicht verhindern. Denn Mega hat Teile der Arbeit per Werkvertrag an ein bulgarisches Unternehmen ausgelagert. 

 

Für einen Stundenlohn von 4,50 Euro machen mehr als hundert Menschen aus Bulgarien  bei der Firma Mega im niedersächsischen Nienburg Autoteile sauber. Sie sind bei einem bulgarischen Unternehmen beschäftigt, das für Mega arbeitet, von Werkvertrag zu Werkvertrag. "Wer sich beschwert oder die Leistung nicht bringt, kommt beim nächsten Mal nicht mehr mit“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Greinert. "Dagegen können wir bei solchen Arbeitsverträgen nichts tun“.

Andreas Greinert ist Qualitätsprüfer bei dem Industriefertigungs-Unternehmen, das für den Autozulieferer Henniges Auspuffteile oder Profile von Kautschukresten befreit. Zehn Jahre lang hat die Stammbelegschaft von Mega dafür 6,14 die Stunde bekommen. Im letzten Jahr konnte der Betriebsrat mit Hilfe der IG BCE und Unterschriften von Nienburger Bürgern einen Tarifvertrag durchsetzen. Auch der Henniges-Geschäftsführer hat sich dafür stark gemacht. Seit dem 1. Januar gibt es 6,80 Euro die Stunde. Bis 2015 sollen es 7,95 Euro werden. Seit es einen Betriebsrat gibt, werden beim Urlaubsanspruch und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch die Gesetze eingehalten. Für die Stammbelegschaft.

Greinert hat an die 20 Kündigungen im Jahr auf dem Tisch. "Die Gründe sind teilweise Kinkerlitzchen“, sagt er, "angeblich haben Kollegen ihre Krankmeldungen nicht abgegeben, oft wurden sie vom Arbeitgeber provoziert“.  Tatsächlich will das Unternehmen die Stammbelegschaft reduzieren, vermutet der Betriebsrat: "Mehr als die Hälfte der etwa 200 Leute, die hier arbeiten, sind inzwischen aus Bulgarien. Im Sommer 2010 waren es ungefähr 30. Damals gab es auch noch Leiharbeitnehmer. Jetzt stehen alle unter Werkvertrag.“

Im Arbeitsalltag fällt das nicht auf. Das müsste es aber: Wer bei einem Werkvertragsunternehmen arbeitet, wird laut Gesetz von seinem Arbeitgeber angeleitet, nicht vom Kundenunternehmen. Sonst ist es verdeckte Leiharbeit.  "Bei uns verteilen die Teamleiter die Arbeit auch an die Bulgaren“, berichtet Andreas Greinert. "Sie müssen alles machen, sogar Toiletten putzen oder  Mauern abreißen“.   An den Betriebsrat wenden sie sich nie. "Die meisten sind eingeschüchtert“, weiß Greinert, der bei seiner Arbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen Kontakt hat. "Wenn ich für eine Bulgarin oder einen Bulgaren das Wort ergreife, weil sie von ihrem Vorgesetzten schlecht behandelt werden, dann ziehen sie sich zurück.  Fragen, die sich nicht auf die Arbeit beziehen, meldet der Übersetzer sofort nach oben“. 

Die Verständigung unter den Mega-Beschäftigten ist auch sonst eine Herausforderung. "Wir sind aus türkischer und kurdischer, russischer und deutscher Abstammung“, erzählt Greinert. "Die Stammbelegschaft schickt die Firma nur noch in die Frühschicht, die Spätschicht machen die Bulgaren allein. Sie schaffen höhere Stückzahlen, allerdings mehr Quantität als Qualität. Und wir bleiben getrennt.“ 

Wer unter Werkvertrag steht, hat keinen Urlaub, kein Krankengeld, keinerlei Absicherung. "Anfangs mussten die Kollegen sogar durcharbeiten, berichtet der Betriebsratsvorsitzende, "sieben Tage die Woche, manchmal 12 bis 14 Stunden lang,  ohne einen freien Tag. Das haben wir vom Betriebsrat immerhin gestoppt, jetzt sind die Sonntage frei.“  Bei den Einstellungen über Werkvertragsfirmen aber redet der Betriebsrat nicht mit, dazu hat er kein Recht. Stattdessen muss er hilflos zuschauen, wie sich mit der Stammbelegschaft auch der Organisationsgrad im Betrieb immer weiter reduziert.  

Als Betriebsrat fühlt Andreas Greinert sich machtlos. Er hofft auf Gesetze, die den Missbrauch von Werkverträgen unterbinden und Arbeitgebern ein menschliches Sozialverhalten vorschreiben. Und auf weitere Unterstützung durch den Abnehmer der Produktion: Zusammen mit Henniges streben Betriebsrat und IG BCE eine Vereinbarung zur Verminderung des Anteils der bulgarischen  Arbeiter an. "Mehr als 20 bis 25 Prozent sollten es nicht sein“, sagt Greinert. "Es ist nicht in Ordnung, dass so viele fest Beschäftigte durch Werkvertragsarbeitnehmer rausgedrängt werden “. 
 

Psychologische Belastung von Leiharbeitnehmern

Bei vielen geht die Hoffnung verloren

140 Stamm- und Leiharbeiter hat Manfred Bornewasser in einer Studie zu psychologischen Belastungen befragt. Er fordert in unserem Interview von den Unternehmen, ihr Geschäftsmodell mit der Leiharbeit zu überdenken. Denn bei seinen Probanden ist ihm vor allem eines begegnet: Resignation

Sie haben in einem Projekt den zunehmenden Einsatz von Leiharbeit im verarbeitenden Gewerbe erforscht. Welche Ziele haben Sie damit verfolgt?
In unserer Studie »Flex4Work« geht es um die Flexibilisierungsmöglichkeiten von Unternehmen, die sich auf dem Binnen- und Weltmarkt durch ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit behaupten müssen. Zu diesem Zweck greifen sie auch auf das Instrument der Zeitarbeit zurück. Wir wollten wissen, welche Motive Unternehmen haben, Zeitarbeitnehmer einzusetzen, welchen Bedarf an Zeitarbeit sie haben und wie sich diese Beschäftigungsform auf die Arbeitnehmer auswirkt, wo Konfliktfelder sind und wie es mit der  Belastung von Zeitarbeitnehmern aussieht. Wir haben Befragungen und Fallanalysen in verschiedenen Unternehmen, vor allem im Bereich des produzierenden Gewerbes durchgeführt. Jetzt bringen wir die Ergebnisse in die öffentliche Diskussion.

Welche Probleme und Belastungen ergeben sich aus Leiharbeit für die Arbeitnehmer?
Die Arbeitnehmer haben eine Vollzeitbeschäftigung bei einem Personaldienstleister, werden von diesem aber immer wieder für unterschiedlich lange Zeiträume an ein Unternehmen überlassen. Daraus resultiert eine psychologisch schwierige Dreiecksbeziehung, die sich zum Beispiel auf die Bindung auswirkt. Die Bindung an das Kundenunternehmen, in dem Zeitarbeitnehmer arbeiten, ist geringer als bei der Stammbelegschaft. Zeitarbeitnehmer sind auch weniger an den Personaldienstleister gebunden, mit dem sie einen Arbeitsvertrag haben. Häufiger Arbeitsplatzwechsel kann zur Belastung werden. Vor allem für gering Qualifizierte, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, bedeutet er Unsicherheit. Viele hoffen auf  Übernahme durch den Entleiher und vergleichen sich mit der Stammbelegschaft. Diese Hoffnung aber erfüllt sich in der Mehrzahl der Fälle nicht; übernommen werden nach meiner Einschätzung nur etwa sieben bis 15 Prozent der Zeitarbeitnehmer.  Aber Achtung: Zeitarbeit kann sehr unterschiedlich ausfallen und bewertet werden. Es gibt auch viele Arbeitnehmer, die sie für sich sehr positiv bewerten.

Was bedeutet es, „Diener zweier Herren“ zu sein?
Das Dreiecksverhältnis Personaldienstleister-Kundenunternehmen-Arbeitnehmer ist das Kernproblem. Es ist viel schwieriger, etwas transparent auszuhandeln. Arbeitnehmer erleben es so, dass „die da oben“ über sie verhandeln und sie selbst gar keinen Einfluss darauf haben. Für die Zahlung der neuen Branchenzuschläge muss ja beispielsweise nun die Einstufung neu ausgehandelt werden, das kann zu Differenzen führen. Schwierig ist auch, dass nicht der Personaldienstleister, sondern der Chef des Kundenunternehmens das Weisungsrecht hat. Zeitarbeit ist in vielen Fällen einfache Tätigkeit, die ganz generell mit Status- und Kontrolldefiziten verbunden ist. Viele gering qualifizierte Zeitarbeitnehmer fühlen sich als Arbeitnehmer zweiter Klasse, die keinerlei Verhandlungsmacht besitzen.

Sind Leiharbeitnehmer häufiger krank als fest Angestellte?
Eher im Gegenteil - Zeitarbeiter melden sich weniger krank als andere, sie wollen Präsenz zeigen, einen guten Eindruck machen, um übernommen zu werden. Wenn es dann mit der Übernahme trotzdem nicht klappt, tritt oft Resignation ein. 

Unterscheidet sich die Einstellung zur Arbeit?
Es gibt oft anfangs ein übermäßig starkes Engagement, ein "Over-Commitment“, dann eine Phase, in der die Hoffnung verloren geht, bis sich eine Art Mitte einspielt. Auch die unterschiedliche Bezahlung beeinflusst die Einstellung zur Arbeit. Stammarbeiter haben ja oft in der Vergangenheit Zulagen erworben, die Zeitarbeiter nicht bekommen. Die Branchenzuschläge jetzt bringen vermutlich einen gewaltigen Unterschied, aber im Detail ist „equal pay for equal work“ oft schwer umzusetzen. Da kann Unterstützung wichtig sein. Die Frage ist, wie es nun weiter geht – werden Unternehmen die Zeitarbeiter nicht mehr so lange einstellen, oder nur noch die besten, werden sie Leute einsparen, auf Aufträge verzichten? Auf Werkverträge ausweichen? Arbeitsplätze durch Maschinen wegrationalisieren? Die Palette der Möglichkeiten ist breit. 

Was sollten Unternehmen Ihrer Meinung nach tun?
Sie sollten ihr Geschäftsmodell überprüfen und sich fragen, welche Art von Flexibilisierung sie brauchen und ob Zeitarbeit erforderlich ist. Variable Auftragslagen kann man auch mit traditionellem Arbeitszeitmanagement wie Überstunden, zusätzliche Schichten  und Langzeitkonten bewältigen, darauf hat die IG BCE ja mehrfach hingewiesen. Unternehmen könnten auch prüfen, ob sie Aufträge verschieben können. Sie könnten Partnerschaften mit anderen Unternehmen bilden und dann wie in einem Arbeitgeberzusammenschluss Arbeitnehmer an andere abgeben, wenn sie sie selbst nicht brauchen. Solche Poolbildungen gibt es ja auch innerhalb von Unternehmen. Denkbar wären strategische Partnerschaften mit Personaldienstleistern, um mehr Sicherheit und Konstanz zu bekommen, so dass Arbeitnehmer vielleicht in zwei oder drei, aber nicht in 15 verschiedenen Unternehmen eingesetzt werden. Einen generellen Verzicht auf Zeitarbeit halte ich nicht für wahrscheinlich, weil einzelne Firmen immer wieder mit erheblichen Auftragsschwankungen rechnen müssen. Dabei geht es nicht um Kostensenkung, sondern um Flexibilität.

 

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      Aktualisiert  am Samstag, 01. Juni 2013 10:32